47906 Kempen - Terwelpstraße 10
Fon +49 (0) 2152 - 22 57

1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Was für ein Zufall - Radio Eriw... nein - Vatikan!!
von Ute u. Hermann Schmitz
12.02.14     A+ | a-
Unsere Ausstellung “Paraguay – Land der Frauen” ist schon so gut wie vorbei, da kommt diese Nachricht aus Rom: Kein Aprilscherz, wie wir erst glauben wollten, sondern ein absolut ernst gemeinter Vorschlag von Papst Francisco, dem Argentinier. Wir können versichern, uns nicht mit Papst abgesprochen zu haben! Die Nachricht: “Papst Francisco schlägt vor, den ´paraguayischen Frauen´ den Nobelpreis zu verleihen, weil sie mit ihren heroischen Wiederaufbauleistungen ihr Land vor dem Untergang bewahrten. Im Vatikan drückte er seine Bewunderung für die Leistung der paraguayischen Frauen aus und betonte die Ernsthaftigkeit seines Vorstoßes beim Nobelpreiskomitee. Anlässlich eines Treffens mit den Argentiniern Carlos und Rodolfo Luna, die in Schweden exiliert waren, erinnerte Papst Francisco an seine intensive Arbeit mit Paraguayern und Bolivianern in seiner Zeit als Bischof in Buenos Aires. In einer Phase des Gespräches sagte er: “In meinem Urteil ist die paraguayische Frau die heldenhafteste von ganz Südamerika! Nach dem Krieg der ´Triple Alianza´ (Paraguay gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay – 1864 bis 70) gab es acht Frauen pro männlichen Überlebenden. Und die Frauen stellten sich der Herausforderung, nicht nur Kinder in die Welt zu setzen, sondern das Land wieder aufzubauen, um ihr Vaterland zu retten, ihre Sprache, Kultur und ihren Glauben......” “Ich wünsche mir, das Nobelpreiskomitee würde den Preis den paraguayischen Frauen widmen! Ich schlage sie vor!”,so der Papst. “Unser Francisco” - der Jesuitenpater Francisco Paula Oliva - ist gerade von seinem Aufenthalt in seiner spanischen Heimatstadt Huelva nach Paraguay zurück gekehrt. Er wird sich riesig freuen und seine positive Meinung über den Wegbegleiter bestätigt sehen. Oliva war mehrere Jahre mit dem Namensvetter, dem jetzigen Papst als Seminarist in Buenos Aires.

Rede von Ute Schmitz bei Ausstellungseröffnung am 04. Februar 2014
„Paraguay  -  Land der Frauen“

Paraguay? Wo liegt das überhaupt?
Von Lateinamerika wussten wir wenig, von Paraguay gar nichts, als wir uns zu Beginn der siebziger Jahre mit zwei kleinen Kindern per Schiff auf den Weg machten. Schwüle Hitze, feuchte Luft und rote Erde empfingen uns. Wir waren angekommen in den Subtropen  -  im Land des deutschstämmigen Diktators Alfredo Stroessner.

Die Präsenz von Polizei und Militär war auffällig und gewöhnungsbedürftig. In wohltuendem Gegensatz dazu die große  Freundlichkeit der Landesbewohner. Von diesen lernte ich anfänglich erst einmal die Frauen kennen, noch ohne ihre besondere Bedeutung für dieses Land zu kennen. Während Hermann  sofort von der Schule absorbiert wurde, erkundete ich die Einkaufsmöglichkeiten und erlernte unter Anleitung von Silvia, die für 4 Jahre zum fünften Familienmitglied wurde, die ersten spanischen Vokabeln aus dem Haus- und Küchenbereich. Das Einkaufen war ein Erlebnis. Nicht zuletzt wegen der kernigen Marktfrauen. Eines der prächtigsten Exemplare der damaligen Zeit haben wir zum Motto der heutigen Ausstellung gemacht. Eine dicke Zigarre zwischen den Lippen, oft selbst gedreht, war keine Seltenheit. Die Frauen amüsierten sich,  machten sich  vermutlich lustig über die jungen Ausländerinnen, die mit unpassendem Schuhwerk durch Pfützen und Berge von Abfall  zu ihren Marktständen kamen.

Ich höre heute noch, wie sie sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten: „Señora, comprá de mí!“. (Señora, kauf´ bei mir!) Nie habe ich erlebt, dass eine von ihnen unsere anfängliche Unkenntnis der heimischen Währung ausgenutzt hätte. Auch beim Verkauf  an der Haustür wurde nie eine zudringlich oder unhöflich, wenn ich nichts kaufte. Ich erlebte die Dienstmädchen in den Nachbarhäusern und bekam mit, dass ihnen die Kinder ihrer Arbeitgeber Befehle erteilten.  Dienstmädchen waren ein beliebtes Thema.  Bei „Damen“- Kaffee-Runden erhielt ich ungefragt lauter gute Ratschläge. „Zahlen Sie nicht zu viel Gehalt, geben Sie nicht so oft frei, Achtung, die Mädchen benutzen Ihren Lippenstift, sie  putzen das Silberbesteck mit dem Topfschwamm“, usw.
Wer waren diese Dienstmädchen? Woher kamen sie? Und wer waren ihre Arbeitgeberinnen? Mir wurden die Klassenunterschiede sehr schnell bewusst. Die „muchachas“, kamen meist vom Inland. Es waren viele, die Arbeit suchten. Deshalb konnte man ihren Lohn beliebig nach unten drücken.

Sie wohnten mit im Haus und waren deshalb immer verfügbar. Ihr Zimmer lag meist neben der Garage oder im hinteren Teil des Gartens. Zimmer konnte man ihre einfache Behausung im - ansonsten großzügigen Haus  - in den meisten Fällen gar nicht nennen. Selbstverständlich aß das Mädchen in der Küche, nachdem es am Tisch bedient hatte. „Sie wollen es so“, erklärte man mir.  „Sie schämen sich sonst oder werden eingebildet ....“ Wenig Scham empfanden so manche Dienstherren oder  auch ihre Söhne, gegenüber den Dienstmädchen. Sexuelle Übergriffe waren und sind in Paraguay an der Tagesordnung. Hatten solche Beziehungen Folgen, wurde das Mädchen aufs Land geschickt. War der Nachwuchs geboren, blieb er dort und die Mutter kehrte zur Arbeit in die Stadt zurück. In Asunción, nur wenige Meter von unserem Haus entfernt, gab es eine Einrichtung mit dem schönen Namen Casa Cuna  -  Haus der Wiegen. Wir hörten später, dass hier Hausmädchen ihre Kinder abgeben konnten, von denen einige unter dubiosen Umständen verschwanden.Später tauchte der Verdacht auf, dass Casa Cuna Drehscheibe des Handels mit Babies und Organen war. Die Dienstmädchen brachten sehr geschätzte Erfahrungen aus ihren großen Familien auf dem Land mit, wo sie  schon als Kinder Verantwortung für jüngere Geschwister zu übernehmen hatten. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie, selber schmächtig, oft stundenlang mit dem Geschwisterchen auf der Hüfte unterwegs waren. Autofahrende Frauen sah man kaum. Frauen in qualifizierten Berufen gab es in den siebziger Jahren in Paraguay  nur sehr wenige.  Politik war reine Männersache. Junge, hübsche, sich langweilende Sekretärinnen gab es schon eher. Sehr häufig galt da die Gleichung „Posten nur bei Gegenleistungen.“ Auch gab es schlecht ausgebildete und schlecht bezahlte  Lehrerinnen.

Ziel der jungen Mädchen war, früh und günstig unter die Haube zu kommen. Mit einem aufwendigen, teuren Fest wurde der 15te Geburtstag gefeiert. Wie junge Bräute sahen die früh erwachsenen Mädchen aus. Besonders stolz waren sie, wenn beim Fest der Papa an ihrer Seite war. Das ist nämlich nicht der Normalfall. Zumindest nicht auf dem Land oder bei der armen Bevölkerung. Damals und bis heute wird in PY die Hälfte aller Kinder von alleinstehenden Müttern auf die Welt gebracht.Das ist auffallend in einem katholischen Land. Die Gründe liegen in der Vergangenheit  -  gehen wir also noch ein wenig zu den Anfängen zurück: Die Eroberung Lateinamerikas verbinde ich gedanklich immer mit Kolumbus, drei Schiffen voller perspektivloser Sträflinge, Männer im Goldrausch, die im Zeichen des Kreuzes und unter der Flagge der katholischen Könige schreckliche Untaten begingen. Es war schon eine nachrückende Eroberer-Generation,  die den Weg von Buenos Aires über den jetzigen Rio Paraguay ins südamerikanische Landesinnere fand. Asunción, die  Hauptstadt Paraguays, wurde erst 1537  gegründet. Erste Begegnungen mit dem dort  heimischen Stamm der kriegerischen Guaranies verliefen glimpflich. Die groß gewachsenen, stolzen Ureinwohner hatten sich auf Kriegszüge bis in Inkareich begeben und waren dort bis auf den letzten Mann vernichtet worden. Es herrschte also vermutlich  Frauenüberschuss. Die Europäer zögerten nicht lange, als ihnen die Stammesführer ihre anmutigen Frauen und Töchter anboten.

Irala, der erste spanische Gouverneur,  hatte 70 Guaraní-Frauen. Er und etwa 300 Gefährten zeugten innerhalb von 2 Jahren 2000 Mestizenkinder. Die Väter, immer noch gierig auf der Suche nach Gold, erkundeten das Landesinnere und hatten weder Zeit noch Lust, sich um die unübersichtliche Nachkommenschaft  zu kümmern. Verständigungsschwierigkeiten gab es
obendrein. Die Kinder sprachen ja Guaraní, wie ihre Mütter. Schon wenige Jahre nach der Ankunft der Spanier bildete sich eine Klassengesellschaft aus Mestizen, reinen Indios und Europäern. Name, Hautfarbe und Herkunft entschieden über Erbe, Ansehen und Macht. Selbstverständlich musste die Feldarbeit von den heimischen Guaranís verrichtet werden. Als billige Arbeitskräfte, vertraut mit dem Klima, wurden sie gejagt und wie Leibeigene behandelt.

In einem in Lateinamerika einzigartigen „Experiment“ wurden jesuitische Padres ihre Beschützer. In großen Gemeinschaften, sogenannten Reduktionen, lebten sie  -  zusammen  mit den bis dahin als Nomaden lebenden Indios  -   ein einfaches Leben. Diese aber wurden fleißig missioniert und entwickelten sich,  unter Anleitung, zu äußerst geschickten Bauern, Handwerkern und Künstlern. Die Ruinen einst mächtiger  Kathedralen, Portale, Altäre, Heiligenfiguren, Wohngebäude und Straßen zeugen noch heute von 160 Jahren relativen Wohlstandes. Die Menschen waren gut ernährt, die Arbeit wurde gerecht aufgeteilt. Jede Frau lebte mit dem ihr angetrauten Ehemann in einem eigenen Heim. Seitensprünge wurden streng bestraft. Das müssen schwere Zeiten gewesen sein für die Frauen der Guaraní, die es gewohnt waren, allein für ihre Kinder zu sorgen. Es hätte so weiter gehen können, wären da nicht Neid und Missgunst der Oberklasse gewesen, denen die billigen Arbeitskräfte abhanden gekommen waren. Der spanische König löste die Reduktionen auf. Die Indios, der paternalistischen Führung beraubt, flohen zurück in die Wälder oder wurden zu Knechten. Ihre Guaraní-Sprache hatten die Padres zur Schriftsprache gemacht - bis auf den heutigen Tag im schriftlichen und mündlichen Gebrauch in Paraguay, gesprochen von über 90% der Bewohner - einzig in Südamerika. Von der Auflösung der Reduktionen bis zur Ablösung vom spanischen Mutterland dauerte es nur wenige Jahre. 1811 wurde Paraguay unabhängig.

Mit Francia, dem ersten Präsidenten und ersten Diktator, begann ein neues Kapitel  in der Geschichte der Frauen dieses Landes. Obwohl er selbst französische Vorfahren hatte, empfand dieser Mann einen gehörigen Hass auf Ausländer, Frauen und vermutlich auch auf sich selbst. Kann man seine politische Weitsicht nur loben, so bleiben doch Unverständnis oder gar Abscheu für viele seiner Taten. Francia lebte spartanisch, war geizig und ohne eigene Familie. Als seine uneheliche Tochter den Präsidenten-Vater um Unterstützung bei der Aussteuer bat, riet der ihr, sich zu prostituieren, um selbst Geld zu verdienen. Gleichzeitig machte er das Gewerbe zum Berufsstand und die Damen waren ab dann am goldenen Kamm zu erkennen, den sie im pechschwarzen Haar trugen. Per Dekret verfügte der Diktator, dass Europäer nur noch einheimische Frauen heiraten durften.  Zuwiderhandlungen wurden bestraft und das Familienvermögen eingezogen. Auch wenn sich die europäischen Männer einer Eheschließung verweigerten, so wurden sie doch unter Zwang innerhalb weniger Jahrzehnte die Ur-Väter eine Mestizengesellschaft, die bis heute fast 80 % der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Kann man sich vorstellen, dass unter den geschilderten Bedingungen Kinder mit liebevollen, sorgenden Vätern groß wurden?
Wieder einmal sind es fast ausschließlich die Frauen, die die Kinder aufziehen. Auf Francia folgte sein Neffe Antonio López. Die Gelder, die sein sparsam lebender Onkel der reichen Oberschicht abgenommen hatte, investierte er in Industrie, in Waffen, aber auch in Technik. Paraguay besaß als erstes Land auf dem Kontinent eine eigene Eisenbahn. Vater López nahm auf dem Totenbett  seinem Sohn und Nachfolger das Versprechen ab, Konflikte diplomatisch und nicht militärisch zu lösen. Vergeblich! Francisco Solano López führte sein Land in den schrecklichsten Krieg der lateinamerikanischen Geschichte. Von 1864 – 70 dauerte der Kampf gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay, bekannt als Triple-Allianz- Krieg. Mit Schaudern beschreiben Zeitzeugen den Kampfesmut und die Todesverachtung der zahlenmäßig weit unterlegenen paraguayischen Kämpfer  -  sicher auch  ein Erbe ihrer kriegerischen, indigenen Vorfahren.

Der Krieg fordert ungeheure Verluste. Als es kaum noch Soldaten gibt, greifen die Frauen unerschrocken zur Waffe und gehen an die Front. Noch ahnen sie nicht, was ihnen bevorsteht.  Schließlich werden die kleinen Jungen in die Schlacht geschickt. Bärte aus Riedgras sollen den Feind glauben lassen, er habe es mit Männern zu tun. López und sein 15- jähriger Sohn fallen schließlich brasilianischen Soldaten in die Hände und suchen, statt sich zu ergeben,  bewusst den Tod, getreu ihrem Schlachtruf: „ Patria o muerte“  - Vaterland oder Tod. Von den 1,3 Millionen Einwohnern überleben nur 220000 den Krieg - Frauen,  Greise und Kleinkinder - und nur 600 Männer! Zum Kriegsende 1870 wird Paraguay nun wirklich das  „Land der Frauen.“

In einer enormen Leistung bauen sie das ausgeblutete Land auf. Mit großem Elan und mit aufopfernder Hingabe, ohne die, so sagen Historiker, Paraguay als Nation nicht überlebt hätte. Wieder sind sie Alleinversorgerinnen.
Wie aber können sie sich Kinderwünsche erfüllen? Zeugungsfähige Männer sind Mangelware. Hat die Frau einen Mann gefunden, darf er in der Hängematte ruhen, während sie schwere Arbeit im Haus und auf den Feldern verrichtet. Als im Asuncióner Hafen ein Schiff anlegt und die Seeleute von Bord gehen, werden sie am Kai von  Frauen bedrängt, die sich um ihre Gunst sogar prügeln Als wir 1973 nach Asunción kamen, waren seit dem Ende des schrecklichen Drei-Bund-Krieges erst 100 Jahre vergangen  Nur 30 Jahre lag ein weiterer, grausamer  Krieg zurück, der sog. „Chacokrieg“ gegen Bolivien, der erneut 50000 Männer das Leben kostete.  

Ich sehe noch unsere damals 9jährige Tochter Birgit vor mir, die seitenweise Geschichtsdaten auswendig lernen musste.Wann und wo fand welche Schlacht statt? Wie heißen die Namen der berühmtesten Kriegsorte? Wie heldenhaft gingen López und sein Sohn in den Tod? Und für die als Kinder in den Kampf geschickten Jungen gab es sogar  Gedichte, Lieder und Heldenmonumente. Über die Frauen, Urmütter und mehr als einmal Retter, mindestens aber Bewahrer des Landes, über ihre ganz besondere Geschichte gibt es in den paraguayischen Geschichtsbüchern keine Abhandlungen. Dafür aber zum „Dia de la madre“   Gedichte und fromme Sprüche, wie hier bei uns zum Muttertag.

Uns bereitet es daher eine besondere Freude, durch unser Erzählen und unsere Fotos Ihnen die Urenkelinnen aus dem „Land der Frauen“ vorzustellen.

Ute Schmitz, Februar 2014   

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

Unsere Info-Broschüre

Unsere Videos